432,7 km/h auf der Autobahn...




Mit dem Mercedes-Benz W 125 Zwölfzylinder-Rekordwagen stellt Rudolf Caracciola am 28. Januar 1938 den Geschwindigkeitsrekord auf einer öffentlichen Straße auf: 432,7 km/h erzielte das Duo auf der Autobahn zwischen Frankfurt a.M. und Darmstadt über den Kilometer (fliegender Start). Rekorde, wie der von Rudolf Caracciola, inspirieren bis heute.

 

Ein Beispiel: Das Projekt „Electric High Speed“ in Zusammenarbeit mit Gorden Wagener, Chief Design Officer der Daimler AG, und der Fakultät für Design der Hochschule für angewandte Wissenschaften München.

 

2016 und 2017 entstanden im Rahmen des Projekts Designentwürfe auf der Grundlage zukunftsweisender Technologien allein für radgetriebene Hochgeschwindigkeits-Rekordwagen mit E-Antrieb. Unter Leitung von Prof. Dr. Othmar Wickenheiser ließen sich die angehenden Designer vor allem von den Karosserieformen der historischen MB Rekordwagen aus den 1930igern anregen. Entstanden sind Konzepte für Bestmarken!

 

Einen elektrisierenden Projekteinblick gibt das gerade erschienene Buch „Electric High Speed“ (ISBN 978-3-95631-626-5). Einige der im Rahmen des Projekts erarbeiteten Designentwürfe sind als Modelle im Maßstab 1:4 umgesetzt. Diese sowie ebenso eindrucksvolle Modelle historischer MB Rekordwagen werden voraussichtlich auf der Fachmesse Techno Classica in Essen (21. bis 25. März 2018) für Besucher zu sehen sein.

 

Rückblende: Das Motorsportjahr 1937 läuft zunächst vorzüglich… Die Marke mit dem Stern gewinnt die GP-Europameisterschaft. Das will man mit einem ebenso fulminanten Geschwindigkeitsrekord ergänzen. Doch dieses Vorhaben misslingt. In der Rekordwoche von Frankfurt a.M. im Oktober 1937 kann der Rekordwagen W 125 mit 5,6-Liter V12-Motor die konkurrierenden Fahrzeuge der Auto Union nicht schlagen. Mercedes-Benz zieht das Fahrzeug aus dem Wettbewerb zurück und beschließt, den Rekordwagen weiterzuentwickeln. In nur 8 Wochen bringen Rudolf Uhlenhaut, technischer Leiter der Rennabteilung, sowie Vorstand Max Sailer die notwendigen Arbeiten auf den Weg. Ziel: 28. Januar 1938.

 

Die Vorgaben an die Ingenieure: Fahrgestell und Motor modifizieren und eine völlig neue Karosserie entwickeln. Der Grund dafür ist vor allem ein deutlich zu großer Vorderachsauftrieb der Version aus dem Jahr 1937.

 

Für die neue Karosserie erhält Mercedes-Benz wichtige Impulse aus der Flugzeugindustrie. Aus den Entwicklungsabteilungen der Flugzeugwerke von Ernst Heinkel und von Willy Messerschmitt kommt die Empfehlung, den vorderen Überhang zu verkürzen und die Front runder zu gestalten. Zudem wird die Front weiter nach unten gezogen und läuft an der Spitze steiler aus. Dies senkt den Vorderachsauftrieb am Ende deutlich ab.

 

Ein längeres und stärker angehobenes Heck reduziert den Auftrieb an der Hinterachse. Zudem wird der Querschnitt des Wagens abgerundet, was die Seitenwindempfindlichkeit reduziert. Schließlich entsteht eine runde Cockpitverglasung. Bis dahin hatte Rudolf Caracciola wegen des Risikos der Sichtverzerrung ablehnt. Nun findet man mit einem Zulieferer eine optisch wie aerodynamisch befriedigende Lösung. Die konsequente Stromlinienform wird durch die verkleideten Radausschnitte unterstützt.

 

Auffällig ist der geringe Durchmesser der Lufteinlassöffnungen in der Front der Karosserie. Dies wird durch die innovative Eiskühlung beim Rekordwagen möglich. Dabei befindet sich der Kühler in einem Behälter mit 48 Liter Wasser und 5 Kilogramm Eis. Zusätzliche Kühlwirkung kann durch Trockeneis erzeugt werden. So entfällt die Kühlerdurchströmung mit Luft, die sich sonst im Luftwiderstand bemerkbar machen würde.

 

Die Anregung für die Eiskühlung kommt von der DVL in Berlin-Adlershof. Wie erfolgreich die Ausrüstung des W 125 Rekordwagens mit der neuen Karosserie ist, zeigen die Messungen im MB Windkanal von 1978. Dort erreicht der Silberpfeil einen starken Luftwiderstandsbeiwert von 0,170.

 

Der bei den abgebrochenen Rekordversuchen im Oktober 1937 genutzte V12-Motor mit 5.577 Kubikzentimeter Hubraum wird komplett zerlegt und optimiert. Prüfstandläufe bestätigen den Erfolg sämtlicher Arbeiten. Eine Leistungsmessung vor dem Einbau ins Fahrzeug ergibt am 29.12.1937 eine Leistung von 714 PS ohne Zusatz-Schiebervergaser. Zusammen mit diesen zusätzlichen Vergasern würde die Leistung 765 PS betragen. 29 PS mehr als das Aggregat bei den Rekordversuchen zuvor hatte.

 

Es ist eine Rekordfahrt, wie sie bislang noch niemand gewagt hat. Und es lohnt sich: Auf der erst im Mai 1935 eröffneten Autobahn zwischen Frankfurt a.M. und Darmstadt (heutige A 5) kommt Rudolf Caracciola am Morgen des 28. Januar 1938 kurz nach 8 Uhr auf die schnellste auf einer öffentlichen Straße (bis 9.11.2017) erzielte Geschwindigkeit: 432,7 km/h.

 

Das Original von 1938 hat heute im Mercedes-Benz-Museum natürlich einen Platz in der Rekordwagen-Präsentation: Mythosraum 7. (ampnet/TX)