Das Auto wächst mit unseren Erwartungen.




Vor 50 Jahren brachte Seat den beliebten Seat 1430 als Kombiversion auf den Markt. Für Spanien war er damals der Inbegriff eines vollendeten Fahrzeugs, wurde gern als Geschäftswagen genutzt, konnte aber auch für sämtliche Alltagsaktivitäten eingesetzt werden. An Wochenenden oder im Urlaub erwies sich der Seat 1430 als (seinerzeit) dynamisches Reiseauto, ideal für lange Strecken und mit einem großen Gepäckraum.

 

50 Jahre später rollt der Seat Leon Sportstourer von den Montagebändern im Werk Martorell: ein Fahrzeug, das ebenso wie der Seat 1430 Kombi den Anspruch erhebt, geräumig und dynamisch zu sein, jedoch effizienter, sicherer und moderner ist. In den beiden Autos begegnen sich eben nicht nur zwei Stile ihrer Zeit, sondern auch zwei Unternehmen. Der Seat war sichtbar ein Derivat des Fiat 124, also ein Ergebnis dessen, was man heute „Badgedesign“ nennt. Die Mutter Fiat hatte die damalige-Tochter fest im Griff. Heute ist Seat eine Tochtergesellschaft des Volkswagen-Konzerns, hat große Freiheiten und die Möglichkeit, bei allen Komponenten für Neuentwicklungen ins Konzernregal zu greifen.

 

Ein Vergleich der beiden Kombis beginnt in diesen Tagen mit einem Blick auf die Verbrauchswerte. Die sind damals wie heute nach unterschiedlichen Maßstäben ermittelt worden, erlauben aber dennoch einen ebenso groben wie beeindruckenden Vergleich: Der 1430 wurde mit 11,4 Litern auf 100 Kilometern angegeben, der Leon von heute mit 4,6 Litern, also mit nicht einmal der Hälfte, obwohl das Gewicht deutlich zunahm – von 945 Kilogramm auf mindestens 1,3 Tonnen, also um rund 40 Prozent.

 

Außendesign

 

„Funktional und elegant“ – so lautete das Medienecho zum Seat 1430, dessen Design mit Chrom-Elementen und eckigen Proportionen nahezu architektonisch anmutete. Dagegen vermittelt der Seat Leon ST eher einen organischen Eindruck: eine aerodynamische Linienführung unter Beibehaltung eines puristischen und klaren Erscheinungsbilds.

 

Vorderansicht

 

Der kleine Kühlergrill des Seat 1430 könnte den Frischluftbedarf des Seat Leon in einigen Situationen nicht decken. Schließlich geht es nicht nur um den Einlass der Luft für die Verbrennung. Es müssen auch der Motor sowie das Motoröl und der Kondensator der Klimaanlage gekühlt werden. Um eine solche Luftmenge zu steuern, ohne die Aerodynamik des Seat Leon Sportstourer zu beeinträchtigen, waren modernste Verfahren erforderlich.

 

Heckansicht

 

Eine niedrige Ladefläche und eine breite Heckklappe sind bei einer Kombikarosserie eine Selbstverständlichkeit. Voraussetzung dafür ist eine robuste Konstruktion, um die Stabilität und Sicherheit der ursprünglichen Limousinen-Karosserie zu bewahren. Die bündige Integration der Stoßfänger beim Seat Leon Sportstourer – im Gegensatz zu den herausragenden Stoßfängern des Seat1430 – ist aus ästhetischer und konstruktiver Sicht eine Herausforderung. Die Rücklichter der 1430er-Limousine waren auffallend groß; beim Kombi fielen sie etwas kleiner aus, jedoch bleiben sie in beiden Varianten weit hinter den Voll-LED-Scheinwerfern des modernen Sportstourers zurück.

 

Seitenansicht

 

Die schmale Spurbreite und die kleinen Räder des Seat 1430 bilden einen großen Kontrast zu den breiten Radkästen des Sportstourer. Die sollen nicht nur die Räder in der Silhouette des Fahrzeugs stärker betonen, sondern ermöglichen auch die Montage breiter Reifen, ohne dass die über die Kotflügeln herausragen. Das ausgewogene Verhältnis von Metall und großem Greenhouse im Seat 1430 sorgte für eine gute Sicht. Außenspiegel sucht man dort jedoch vergeblich. Die waren damals noch nicht vorgeschrieben.

 

Heute orientiert sich das Design des Leon enger an dem „magischen“ Verhältnis von 1/3 zu 2/3, das über die Optik ein Gefühl von Schutz und Robustheit vermittelt. Der Seat 1430 war drei Zentimeter höher als die Limousine, aber nur einen Zentimeter länger. Heute misst der Sportstourer 27 Zentimeter mehr als der alte Kombi. Und trotz seiner Größe – 60 Zentimeter mehr als der Seat 1430 – lässt er sich auf eine Weise manövrieren, die vor 50 Jahren noch Science-Fiction war – dank Parksensoren, Rückfahrkamera, automatischen Einparksystems oder Ausparkassistenten.

 

Innendesign und Platz

 

Der Seat 1430 verfügte über bequeme Polstersitze mit verschiedenen Bezügen, die sich jedoch nicht mit dem heutigen Fahrkomfort im Leon vergleichen lassen, dessen Vordersitze nach Belieben verstellt werden können. Dass beim Seat 1430 auch die Vordersitze keine Kopfstützen hatten, überrascht im 21. Jahrhundert ebenso wie der Aschenbecher auf der Rückbank.

 

Gepäckraum

 

Im Gepäckraum des 1430 wurde ein Großteil des Platzes vom Ersatzrad vereinnahmt. Trotzdem war das Modell im Spanien der 70er-Jahre aufgrund seiner Geräumigkeit und Leistungsstärke bei Rettungsdiensten und Ordnungshütern sehr beliebt, sogar als Krankenwagen oder Feuerwehrfahrzeug. Mit seiner eckigen Form ist der 620 Liter fassende Kofferraum des ST aufgeräumter.

 

Von der analogen zur digitalen Welt

 

Der Seat 1430 war ein ziemlich ernstzunehmendes Fahrzeug. Das war auch den Kindern klar, die bei geparkten Autos gerne einen Blick auf das Armaturenbrett erhaschen wollten: Dort befand sich nicht nur eine Uhr, sondern vor allem auch ein Drehzahlmesser und ein Tachometer, das ein Tempo von damals stolzen 170 km/h anzeigte. Der Seat Leon Sportstourer bietet ebenfalls Anlass zu Faszination, da er überhaupt keine klassischen Instrumente mehr hat, sondern stattdessen ein digitales Cockpit mit 10,25-Zoll-Display, dessen Anzeigen vom Benutzer nach Wunsch konfiguriert werden können.

 

Unter den vielen verschiedenen Modellen, die 1970 auf dem Markt waren, stach der Seat 1430 durch seine Doppelscheinwerfer mit eckigen Einfassungen heraus. „Großartige Beleuchtung“, war damals häufig zu hören. Dieses Kompliment hat der neue Seat Leon Sportstourer übernommen. Seine Voll-LED-Technologie sorgt außerdem für einen hohen Wiedererkennungseffekt.

 

Beim Seat 1430 war der Zugang zum Tank durch einen abschließbaren Deckel verborgen und geschützt. Da die Kombiversion über einen größeren Kraftstoffbehälter verfügte (47 statt 39 Liter), musste die Tanköffnung auf die linke Seite verlegt werden. Der neue Seat Leon Sportstourer ist dagegen mit dem schlüssellosen Schließ- und Startsystem „Kessy Go“ ausgestattet.

 

300 km Reichweite – einst akzeptabel

 

Angesichts der heutigen Diskussion über die notwendige Reichweite für batterieelektrische Reichweite lohnt der Rückblick. Ein Tank mit 37 Litern bedeutete eine Reichweite von um die 300 Kilometer. Jedem modernen Elektroauto würde diese Zahl übelgenommen werden, weil inzwischen Benziner und erst recht Dieselantriebe in der Lage sind, Deutschland von der See bis an die Berge mit einer Tankfüllung zu bewältigen.

 

Von Otto zu Miller und zu den Alternativen

 

Der Seat 1430 basierte auf einem klassischen Antriebskonzept. Das bedeutete einen längs eingebauten Motor und Hinterradantrieb. Der Seat Leon ST entspricht dagegen der heutigen Bauweise: quer eingebauter Frontmotor und Vorderradantrieb. Der Seat 1430 wurde nach dem 1438-Kubikzentimeter-Hubraum seines Vierzylinder-Ottomotors benannt, der bis zu 70 PS (51 kW) leistete, später sogar 75 PS.

 

In den 70er-Jahren war der Miller-Zyklus im Serienbau noch so gut wie unbekannt. Er wird vom Leon genutzt, um mit einem ähnlichen Hubraum von 1498 Kubikzentimetern bis zu 150 PS (110 kW) zu erreichen. Langer Hub, Direkteinspritzung, Turbolader mit variabler Geometrie, eine auf 12,5 : 1 erhöhte Verdichtungsrate und aktives Zylindermanagement machen das Geheimnis aus. Darüber hinaus ist der Sportstourer heute mit verschiedenen Antriebskonzepten erhältlich.

 

Bleibt noch der Preisvergleich: Der Seat 1438 war zu Preisen ab 143.100 spanischen Pesetas zu haben, nach heutigen Kursen etwa 8500 Euro. Der Seat Leon STr kostet in der einfachsten Version mit dem kleinsten Benzinmotor 21.560 Euro. Wer angesichts dieser Zahlen meint, früher sei eben doch alles besser gewesen, der möge sich zwei Dinge vor Augen halten: die Entwicklung der eigenen Ansprüche an ein Auto und die Unfallzahlen. (ampnet/TX)