Die Zukunft bei VW liegt unter 400 km/h.




Das VW-Prüfgelände in Ehra-Lessien ist der Stolz des Konzerns. In dem Zonenrandgebiet gebaut, so nah an der einstigen Grenze zur DDR, dass Erlkönigjäger nicht mit dem Hubschrauber aufsteigen konnten, verfügt es heute über 140 km Teststrecke. Im Dreischichtbetrieb werden bis zu 250 Fahrzeuge pro Tag auf Herz und Nieren geprüft.

 

Unter den 140 km Strecke sind auch 21 km Hochgeschwindigkeitspiste: Über 400 km/h kann man hier fahren. Ob man das in der Zukunft noch braucht? Die Fahrzeuge, die VW jetzt im Rahmen eines „Future Mobility Day“ zeigt, lassen Zweifel aufkommen. Sie haben andere Fähigkeiten...

 

Dies gilt vor allem für das aktuelle Flaggschiff der Konzernentwicklung, den Sedric. „Sedric“ ist ein Akronym für „Self-Driving Car“, und damit ist sein technischer Ansatz auch schon beschrieben. Erstmals gezeigt auf dem Genfer Salon 2017, handelt es sich um ein vollautonomes Fahrzeug (Level 5), elektrisch angetrieben und für die urbane Mobilität ausgelegt. Im Vergleich zu der Studie hat der im VW-Studio Potsdam gezeichnete Sedric die moderne Radvollabdeckung verloren.

 

Aber auffällig weiterhin: Er trägt kein VW-Logo. Denn seine Innovationen sollen dem ganzen Konzern zugutekommen. Da ist es nur fair, wenn auch alle vom Image dieses Technologieträgers profitieren. Auf der Front prangt deshalb der Schriftzug „Volkswagen Group“ und noch zahlreiche sichtbar platzierte Sensoren künden von der eindrucksvollen Menge an Daten, die durch diesen reduziert gezeichneten Fahrzeugkörper zucken.

 

Der Sedric steht auf einer E-Plattform, die theoretisch einen Sprint von 6 Sekunden von 0 auf 100 km/h ermöglicht. Doch bei den Mitfahrten ließ es Volkswagen deutlich gemächlicher angehen. Man bestellt das Auto per Mobiltelefon, und teilt ihm gleich mit, welche Farbe gewünscht wird, damit man ihn in der Phalanx der autonomen Mobile auch erkennt. Bei Uber gibt es das in den USA heute schon, doch dort wird nur eine kleine Tafel direkt in der Frontscheibe farblich betont.

 

Wir beginnen unser Experiment: Das Fahrzeug begrüßt uns mit „Hello“; die Türen öffnen sich, sobald sich unser Mobilgerät nähert, wir nehmen in einem sachlichen Interieur Platz, in dem sich die Passagiere einander gegenübersitzen. Sowie das Ziel der Fahrt bestätigt ist, werden wir auch schon mit Fakten versorgt. Und so erfahren wir nicht nur, wie das Wetter in Wolfsburg ist, sondern auch einiges über die Currywurstproduktion der Heidemetropole. Auch die Luftqualität wird bewertet. Irgendwo muss ja auch der Strom für diese elektrisch betriebenen Fahrzeuge herkommen.

 

Da es kein Lenkrad gibt, hat eine Reise im Sedric mit einer klassischen Autofahrt nicht mehr viel zu tun. Es geht hier um „geteilte Mobilität“, und dazu gehört auch, dass der Verschmutzungsgrad des Typs überwacht wird. Dafür sorgen aufmerksame Kameras. Für sauberen Boden ist ein automatischer Staubsauger zuständig, bei groben Verschmutzungen der Sitze bewegt sich der Sedric zur Werkstatt. VW hat sich auch Gedanken über die Incentivierung gemacht: Wer einen Sedric so reinlich hinterlässt, wie er ihn vorgefunden hat, erhält einen Bonus.

 

Der Sedric ist als finale Vision für das autonome Fahren der Stufe 5 zu interpretieren. Doch auf dem Weg dorthin liegen sehr viele Meilensteine. Einige davon wurden auf dem „Future Mobility Day“ im Detail aufgezeigt.

 

Dazu gehört das System „Guardian Angel“, ein virtueller Schutzengel, der den Fahrer mit drei Kameras permanent überwacht. Driftet seine Aufmerksamkeit ab, wird er mit Vibrationen im Fahrersitz gewarnt. Rund 5 Minuten Fahrstrecke genügen dem Auto, um den persönlichen Fahrstil zu interpretieren und Abarten ideal zu erkennen.

 

Bei der Navigation gab es eine Form der „augmented reality“ zu sehen: Anstatt bevorstehende Manöver vorher anzukündigen und dem Fahrer die Planung zu übertragen, werden „fließende“ Rauten auf das Display projiziert, denen man quasi dann in Echtzeit hinterherfahren soll. Das ist Gewöhnungssache und setzt völliges Vertrauen in die Technik voraus, denn eine Vorausplanung von Fahrmanövern ist nicht mehr vorgesehen.

 

Schließlich war noch ein Tiguan mit tief heruntergezogener Kühlermaske zu sehen. Dabei handelt es sich nicht um die Rückkehr dieser einst von Peter Schreyer und Murat Günak entwickelten „Happy-Face“-Ästhetik, sondern um ein Kommunikationsmodul: Auf dem übergroßen Bildschirm sollen Botschaften an Fußgänger und andere Verkehrsteilnehmer direkt vermittelt werden. Etwa die Aufforderung, die Straße zu überqueren, weil das Fahrzeug etwa eine Situation erkannt hat...

 

Es sind wichtige Schritte auf dem Weg zur „Vision Zero“: VW will die Zahl der Unfälle auf null verringern. Bis es soweit ist, werden noch Millionen an Kilometern in Ehra-Lessien gefahren. Aber nicht mit 400 km/h. (ampnet/TX)