Er sprengt das Segment.




Sie war der Hingucker schlechthin auf dem Genfer Salon 2017: Eine in glühendem Rot lackierte Studie von Mercedes-AMG, die als viertürige Interpretation des Sportwagens GT annonciert wurde. Schnell war klar: Das Auto geht in Serie. Klar war auch, dass es sich um eine Ergänzung der GT-Baureihe handelt, tatsächlich auf der E-Klasse aber basiert.

 

Präziser gesagt, des Mercedes-AMG E 63. Bessere Gene kann sich ein Fahrzeug kaum wünschen, wenn neben Hochleistung auch ein Maß an Alltagstauglichkeit vertreten sein soll.

 

Allerdings haben sich die AMG-Entwickler von der technischen Basis deutlich entfernt. Die Struktur zeichnet sich durch Leichtbau und extreme Steifigkeit aus. Neben Stahl setzt AMG Alu- und Kohlefaser-Elemente ein. Die Laderaummulde besteht aus Kohlefaser-Verbundstoff, zwischen Rücksitzen und Kofferraum sitzt zur reinen Versteifung eine Kohlefaser-Rückwand, auf die jedoch zu Lasten der puren Performance verzichten muss, wer sich für die umlegbare Rücksitzbank entscheiden wird.

 

Die Form eines Automobils ist zwar Geschmackssache, doch es dürfte kaum jemanden geben, der sich der Faszination des muskulösen und zugleich hocheleganten GT entziehen kann. Eindrucksvoll wirkt dieser mit den glatten 21 Zoll-Felge im retrofuturistischen 5-Loch Aerodesign; verwunderlich ist hier, dass es gegen Aufpreis kein Panorama-Glasdach, sondern nur ein Schiebedach gibt.

 

Der viertürige GT ist perfekt proportioniert, das Prestigemaß zwischen Frontscheibe und Vorderachse unterstreicht seinen Hinterradantrieb. Die große und lange Haube muss sein, schließlich sitzen im Vorderwagen keine Downsizing-Maschinen, sondern Sechszylinder oder ein V8.

 

Den neuentwickelten 3,0-Liter Sechszylinder gibt es in zwei Stufen, als GT 43 mit 367 PS oder als GT 53 mit 435 PS. In beiden Fällen wird ein Generator verbaut, der nicht nur für den lautlosen, vibrationsfreien Start sorgt, sondern bis zu 22 zusätzliche PS aufbieten kann. Die Laufkultur eines Sechszylinder-Aggregats, dessen Zylinder in Reihe sind, ist ideal. Der Motor agiert leichtfüßig und seidenweich, die Leistungen genügen hohen Ansprüchen: Der 43iger sprintet in 4,9 Sekunden von 0 auf 100 km/h, die Spitze liegt bei abgeregelten 270 km/h; der 53iger schafft den Sprint in 4,5 Sekunden (285 km/h).

 

Doch es geht noch mehr, und zwar in Form eines 4,0-Liter V8-Biturbo-Aggregats, das ebenfalls an einen 9-Gang-Automaten gekoppelt ist und beim GT 63 585 PS leistet, beim GT 63 S sogar unglaubliche 639 PS. Hier wird der Standardspurt in 3,4 bzw. 3,2 Sekunden absolviert, und der Abregler tritt erst bei 310 bzw. 315 km/h in Aktion. Weil der aggressive, klangstarke Achtzylinder so unerbittlich antritt, müssen diese Werte, eine freie Autobahn vorausgesetzt, keineswegs eine Theorie bleiben.

 

Egal welcher Motor eingebaut ist: Das Handling des viertürigen GT ist sensationell, gerade in Anbetracht der mehr als 2,0 t Leergewicht. Der Allradantrieb ist deutlich hecklastig ausgelegt. Auf der Rennstrecke lässt sich der Viertürer wie ein Supersportwagen dirigieren, per Lastwechsel in die Kurve führen und am Kurvenausgang brutal nach vorne peitschen. Es gibt einen elektrisch ausfahrbaren oder auch einen feststehenden, mechanisch verstellbaren Heckspoiler; der feststehende Spoiler erhöht den Abtrieb nochmals und dient damit den Fahrstabilitäten im obersten Geschwindigkeitsbereich allein.

 

Das Cockpit wirkt nicht unbekannt, tatsächlich nimmt Mercedes-AMG für den viertürigen GT die obere Hälfte von der E-Klasse, inkl. der neuesten Telematik- und Infotainment-Systeme. Die untere Hälfte wird dominiert von einer Neuinterpretation der GT-Mittelkonsole, nunmehr ausgeprägt in Form eines NACA-Lufteinlasses mit den digitalen Schaltflächen. Das Platzangebot ist vorn und hinten sehr gut, der viertürige GT eignet sich durchaus zur Chauffeurslimousine; etwa wie der Porsche Panamera, anders als der Klaustrophobie auslösende Aston Martin Rapide.

 

Mercedes hat das Genre der viertürigen Coupés mit dem CLS erfunden. Der viertürige GT ist nun trotz vergleichbarer technischer Basis deutlich teurer, und zwar beim 53iger um rund 20.000 Euro. Allein nur der GT 43 unterschreitet die Grenze zur Sechsstelligkeit: 95.260 Euro müssen bei der Basis den Besitzer wechseln, der GT 53 kostet bereits 109.183 Euro. Wenn es ein V8 sein soll, startet der GT 63 bei 150.119 Euro, und der GT 63 S erst bei 167.017 Euro.

 

Der AMG GT ist eigentlich auch kein viertüriges Coupé mehr, sondern ein viertüriger Supersportwagen. Wie die Konkurrenz darauf reagiert, bleibt abzuwarten: Der Audi A7 ist in der neuen Modellgeneration näher an den A6 gerückt als bisher, während BMW den Nachfolger des 6er Gran Coupé als 8er Gran Coupé bezeichnet, ohne die Eigenschaften wirklich zu verändern. Dieser AMG GT ist an die Spitze gerückt. (ampnet/TX)