Feurige Französin in ehrlicher Haut.




Es war einmal ein französischer Sportwagen, ebenso unscheinbar wie giftig. Übrigens erster Rallye-Weltmeister! 1962 erschien das Coupé als Nachfolger des A108, fuhr mit Heckmotor und Hinterradantrieb fast alles in Grund und Boden. Heute ist der Wagen eine Legende, was die Firma einst aber nicht vor der Übernahme durch den Renault-Konzern rettete.

 

Dessen untaugliche Versuche, mit den Modellen A310 oder A 610 ideale Nachfolger zu platzieren, wurden 1995 eingestellt. Dem neuen Auto mit dem alten Namen dürfte ein ähnliches Schicksal erspart bleiben. Sein Design ist geeignet, Nostalgiker zu versöhnen und seine Leistung dazu, Insassen mit hohen Dynamik-Ansprüchen zufrieden zu stellen. Es hat nicht mehr Schwächen als vergleichbare Fahrzeuge dieses Zuschnitts.

 

In einer kleinen Fabrik im nordfranzösischen Dieppe lässt Renault die Reinkarnation der legendären Alpine A110 entstehen, begibt sich damit in ein höchst überschaubares Segment. Toyotas GT86, der baugleiche Subaru BRX und der Alfa Romeo 4C gehören in diese Kategorie. Einige rechnen auch die leistungsstärkeren, aber schwereren Porsche Cayman und Jaguar F-Type dazu. Die Kunden für Sportgeräte dieser Art suchen Fahrspaß statt Alltagstauglichkeit, Adrenalin-Ausschüttung statt Sprit-Einsparung. Seinen Sonderstatus zieht das französische Produkt schon aus der Tatsache, dass es als einziges von weiblicher Natur ist: Für „die“ Alpine gibt es eine Reihe von Erklärungsmodellen, in diesem Falle sollen schlanker Körperbau und weiche Rundungen als Begründung reichen.

 

Obwohl mit 4,18 m ein gutes Stück länger als die Ahnin aus den 60igern, stimmen bei der A110 fast alle Proportionen. Eine flache Schnauze, vier magische Leuchteinheiten, eine gewölbte Heckscheibe sowie ein stark abfallendes Heck unter einem vorwitzigen Bürzel. Allerdings wanderte der Motor vor die Hinterachse, so dass eine ideale Gewichtsverteilung von 49:51 herauskam. Das erhöht den Fahrspaß noch einmal merklich.

 

Eng geschnittene Sportsitze des italienischen Herstellers Sabelt bilden das Gestühl für die beiden Passagiere. Höhenverstellbar sind die Sitze nur mit Handwerkszeug, die Schiene für den Abstand zu den Pedalen ist aber geeignet, Riesen ebenso lässig unter das nur 1,25 m niedrige Dach gleiten zu lassen, wie Menschen mit deutlich weniger Körpergröße. Dass der kleine, leichte Zweisitzer für die sommerlichen Straßenverhältnisse besser geeignet ist, als für den Wintereinsatz, kann man nicht nur an der Kraft auf der Hinterachse erkennen, es fehlt zudem das Handschuhfach.

 

Die Sitzposition ist tief, der Schwerpunkt des Fuhrwerks, so versichern die Ingenieure, liege ziemlich genau in Beckenhöhe des Fahrers. Ein groß dimensionierter roter Startknopf auf der Mittelkonsole aktiviert den 1,8 Liter großen Vierzylinder hinter dem Rücken der Gäste. Er entfacht mittels Turboaufladung 252 PS und 320 Nm Drehmoment bei nur 2.000 Umdrehungen. In der Kombination mit gerade mal 1.100 kg Leergewicht sind diese Daten eine Lizenz zum Rasen. Die Aufgabe des Schalthebels wird von drei Tasten übernommen. Unter 5,0 Sekunden ist der Spurt zur 100 km/h-Marke erledigt, die Höchstgeschwindigkeit gibt der Hersteller mit 250 km/h an. Auch wenn auf der Testfahrt die Chance dazu fehlte, dieses Versprechen einzulösen. Ein ebenfalls roter Knopf für den Modus (Normal, Sport und Track) verändert nicht nur die Grafik der Instrumente, sondern auch Gaskennlinie, Auspuffsound sowie die Stabilitätssysteme.

 

Das Dynamikgeheimnis liegt in der Leichtigkeit des Seins. Die geklebte, geschraubte, genietete und verschweißte Alukarosserie wiegt weniger als 200 kg. Sensibel reagiert die Alpine auf Gaszufuhr, im Sportmodus fast süchtig nach Bewegungen des rechten Fußes samt Klangkulisse. Das 7-Gang-DSG von Getrac ist ein Vorbild der Anpassungsfähigkeit. Es scheint stets genau zu wissen, was der Fahrer oder die Fahrerin will. Bei hartem Bremsen schaltet es auch mal Stufen zurück, um am Ausgang der Kurve erneut genug Drehmoment für den rasanten Antritt zu haben.

 

Ebenso geschmeidig wie präzise werden Kurvenwechsel umgesetzt, stets mit erstklassiger Rückmeldung von der Lenkung. Das Heck meldet sich eher zu früh als zu spät, winzige Gegenbewegungen halten das Coupé mühelos auf Kurs. Alpine scheint die französische Übersetzung für den deutschen Begriff Fahrspaß zu sein. Die dosierbaren Brembo-Bremsen helfen mit, den Vortrieb zuverlässig im Zaum zu halten. Was der Turbo derweil aus dem 45 Liter kleinen Tank saugt, will man wohl gar nicht wirklich wissen. Die finstere Ahnung, dass es deutlich mehr als die norm-gemessenen 6,1 Liter sind, wird schleunigst wieder verdrängt.

 

Ehrlich wie eine normannische Bauersfrau, feurig wie eine okzitanische Nachtclub-Tänzerin, die Alpine bringt in ihrer grazilen Erscheinung eine Reihe gegensätzlicher Charaktere zum Vorschein. Und zu guter Letzt ist die griffige Fahrmaschine, wie es sich für eine rechte Französin gehört, auch noch ein sehr patriotisches Auto: Außer in Weiß und Schwarz wird sie in „Bleu Alpine“ lackiert, ganz in der Tradition der alten französischen Rennwagen. An den C-Säulen prangt, äußerst dezent, die Trikolore. Der konsequente Verzicht auf alle Renault-Logos ist kein Mangel... (ampnet/TX)