Fragwürdige Amputation.




Porsche-Fans sind eine eigenwillige Spezies. Jede technische Neuerung erhält prophylaktisch das Siegel: „Untergang des Abendlandes“, wie nun auch die jüngste Ankündigung den Boxster als Baureihe 718 mit Vier- statt Sechszylindern auszustatten. Was Porsche-Puristen als „Tod des Sounds“ in Schnappatmung versetzt, relativiert die Praxis direkt.

 

Dieser Boxster 718, der im Frühjahr in den Handel kommt, ledert seinen Vorgänger in jeder Hinsicht ab. Ach ja, der Sound ist auch der Hammer!

 

„Downsizing“, also die Verringerung von Hubraum und Zylinderzahl gilt in der Autobranche derzeit als Königsweg, um den Verbrauch und damit den Ausstoß von Kohlendioxid pro Kilometer zu senken. Beim Boxster 718, der in zwei Leistungsstufen antritt, bedeutet dies eine Reduzierung des Normverbrauchs auf immerhin 7,3 Liter pro 100 Kilometer...

 

Die neue Generation von Vierzylinder-Boxern bei Porsche schafft dabei die Quadratur des Kreises: Weniger Verbrauch bei 35 PS Mehrleistung. Das Basistriebwerk mit 2,0 Liter Hubraum tritt mit 300 PS bei 6.500 U/min an, der 718 S mit 2,5 Liter Hubraum stellt bei gleicher Drehzahl 350 PS bereit. Wie beim 911, dessen neue Sechszylinder die technische Basis liefern, setzt Porsche beim Vierzylinder auch auf Turboaufladung. Beim S kommt sogar noch eine Turbine mit variabler Ladergeometrie zum Einsatz. Dieses bei leistungsstarken Dieseln schon lange bewährte Prinzip, kommt weltweit bei Benzinern nur bei Porsche zum Baueinsatz.

 

Das Konzept der variablen Ladergeometrie hilft dem Turbo trotz geringer Motordrehzahlen beim Anfahren schnell auf Umdrehung zu kommen. Ein System von steuerbaren Klappenelementen verengt dabei geschickt den Anströmkanal zur Turbine. Bei Turbos für Benziner resultiert die große Herausforderung für diese Technik und Fertigung aus den klar höheren Temperaturen, die der Benziner bei der Verbrennung erzeugt. Sie liegt um rund 200 Grad höher. Darum kostet der variable Lader auch.

 

Was die älteren Sechszylinder schon nach wenigen Metern vergessen lässt, ist das signifikant höhere Drehmoment, welches die aufgeladenen Vierzylinder schon bei knapp 2.000 Touren bereitstellen. Es liegt beim 718 um 100 Nm höher als beim Vorgänger. Der 718 S hat jetzt 420 Nm.

 

Dass die neue Motorengeneration gerade im Boxster ihre Premiere feiert unterstreicht seine Rolle als technischen Revoluzzer im Modellportfolio. Als die Reihe vor 20 Jahren debütierte, trug sie den wassergekühlten Boxer im Heck. Auch damals riefen die Jünger wegen der Abkehr von der Luftkühlung einen unmittelbar bevorstehenden Untergang aus. Und wenn wir schon bei der Modellhistorie sind. Vierzylinder-Boxer gehören selbstverständlich zur technischen Marken-DNA, siehe 365. Der erste 718, der 1957 den 550 Spyder ablöste, war mit bis zu 160 PS für 550 Kilo Wagengewicht eines der erfolgreichsten Rennfahrzeuge der Marke, das mehr als 1.000 Siege einfahren konnte. Darunter Klassensiege bei den 24 Stunden von Le Mans oder bei der Targa Florio (Sizilien).

 

Der erste 718 darf seine Spuren auch bei dem Nachfolger hinterlassen. Grundlinien der Grafik und Zitate der Proportionen finden sich wieder. „Wir wollten keine Retroelemente erzeugen, sondern nur die Identität unterstreichen“, so Designer Heinz Redlich. Der 718 Boxster zeichnet sich durch eine neue Front- und Heckpartie aus, deren Charakteristik besonders die Leuchteinheiten herausarbeiten. Neuste LED-Technik verleiht primär dem sportlichen Heck einen unverwechselbaren Auftritt.

 

Beim Interieur lautete die Devise: Das Bessere ist des Guten Feind. Die genialen Sitze bleiben, dagegen verschwindet die große Klaviatur der Bedienschalter auf der Mittelkonsole. Die liegen nun im direkten Grifffeld des Fahrers am neuen Lenkrad, das der 718 vom 918 geerbt hat.

 

Mit dem Sportchronopaket steht dem Fahrer ein breites Spektrum an Einstellmöglichkeiten für Fahrwerk und Assistenzsysteme zur Verfügung. Vereinfacht, es spannt den Bogen von „narrensicher“ zu „total quer“. Je nach Können und Straßenverhältnissen. Wer mehr als 20 Prozent des dynamischen Potentials des 718 auskosten will, sollte sich grundsätzlich aber nur auf abgeschlossenen Rennpisten bewegen, weil im öffentlichen Straßenraum die schwerwiegende Straftatbestände dagegen sprechen.

 

Mit Launch Control zoomt der 718 S aus dem Stand in 4,2 Sekunden auf Tempo 100. Vor 30 Jahren benötigte der (fast) gleichstarke 911 Turbo als amtierendes Alpha-Männchen für die gleiche Übung 5,8 Sekunden. Natürlich ist der Sound des Vierzylinders anders als der des vormals nur saugenden Sechszylinders, aber nicht weniger markant wuchtig...

 

Also lautet das Fazit nach dem ersten Ausritt mit dem 718 Boxster: Alles ist gut! In vielen Dingen ist sich der offene Zweisitzer treu geblieben. Bis hin zur Telefonbuch-dicken Preisliste für Optionen. Und richtig aus dem Vollen geschöpft, lässt sich der Grundpreis verdoppeln. Und schließlich wäre da noch die ultimative Zahl: 7:42 Minuten! So lange braucht der 718 S für eine Runde Nordschleife. Damit brennt er dem alten Boxster S 16 Sekunden auf. Ach, bald folgt der Cayman mit dieser Technik. (ampnet/TX)