Jaguar I-Pace: Ein wahrhaftiger Männertraum!


Dr. Rolf Speth, Chef von Jaguar Land Rover, und Dr. Wolfgang Ziebarth, damaliger JLR-Entwicklungschef, hatten einen Traum und wollten das nach dem Stand der Technik optimale E-Auto bauen. Also auf einem sprichwörtlich weißen Blatt beginnen. Irgendwann stimmt auch Tata, der Eigner der britischen Marken, zu. Jahre später gibt es den Jaguar I-Pace.

Jaguar I-Pace

Jaguar


Ein paar grundsätzliche Entscheidungen fielen sehr schnell: Die Batterie kommt unter den Boden; das Fahrzeug bekommt an jeder Achse einen eigenen E-Motor und zwischen den Rädern einen Radstand, wie er bei einer klassischen Fahrzeug-Architektur nicht möglich ist. Zwischen den Rädern liegen fast 3,00 m Randstand. Das schafft vor allem Länge für einen Innenraum, wie er bei den ganz großen Limousinen üblich ist. Bei Jaguar heißt das: Der I-Pace bietet so viel Innenraum wie der Jaguar XJ.

 

Weil kein Verbrenner nach Einbauvolumen verlangte, konnte die Kabine nach vorne rücken. Doch niemand verfiel auf die Idee, dieser „Forward-Cabin“ eine Van-Optik mit flach bis direkt zum Dach ansteigender Front zu verpassen. Es sollte ein auf den ersten Blick als Jaguar erkennbares Fahrzeug werden. Dem Design-Team ist dies im Jaguar-Stil gelungen...

 

Die wesentlichen Merkmale stecken in der kurzen Motorhaube. Sie zeigt das typische „Raubkatzen“-Gesicht mit dem übergroßen Rautengrill und dessen Fortsetzung unter dem Stoßfänger sowie seitliche Lufteinlässe vor den Rädern. Ein solch großer Kühlergrill bei einem E-Auto? Andere zeigen ihre Hinwendung zur E-Mobilität, gerade weil sie auf Lufteinlässe verzichten. Doch auch beim I-Pace ist der große Grill dicht. Die Luft für die Kühlung der Elektrik tritt unter dem Stoßfänger ein. Und die seitlichen Einlässe sorgen dafür, dass die Vorderräder günstig umströmt werden.

 

An der Seite geht es weiter, beginnend mit den fast barocken Kotflügeln für die 22 Zöller vorn und breiten Schultern hinten, dazwischen eine Art Wespentaille, gebildet durch die Fensterlinie und den stark ausgeformten Schwellern. Die Fensterfläche zeigt sich aggressiv klein. Die Größe des Heckfensters ist nur durch die Rückfahrkamera zu entschuldigen. Doch das hochgezogene Heck stärkt diesen Eindruck von Sturm und Drang!

 

Der neue Jaguar zeigte seine Sportwagenqualitäten auf dem Autodromo do Algarve beim portugiesischen Portimao, nachdem der I-Pace zuvor seine Geländewagen-Gene im beeindruckend steilen Offroad-Parcour von Land Rover bewiesen hatte. Wasserdicht ist dieser Brite auch noch.

 

Ein solcher Spagat zwischen den Welten Track und Offroad gelingt eher selten, schon gar nicht bei E-Autos. Dabei ergeben sich eine Reihe der Eigenschaften gerade aus der Tatsache, dass in diesem Fall rund eine halbe Tonne Batterie an Bord sind. Dieses Gewicht im „Keller“ zieht den Schwerpunkt nach unten und sorgt mit ihrem Rahmen dafür, dass der I-Pace zum steifsten Jaguar in der Unternehmensgeschichte wurde, was sich im Gelände und auf der Rennstrecke auszahlt. Die Verteilung der Achslast von 50:50 bringt ein weiteres Plus fürs sportliche Fahrverhalten. Für einen standesgemäßen Vortrieb sorgen die Motoren mit zusammen 400 PS und 696 Nm. Genug für den Standardsprint in nur 4,8 Sekunden.

 

Die 90 kWh aus 432 Lithium-Ionen Hochenergiezellen sollen selbst unter den harten Vorgaben des neuen, mehr an der Praxis orientierten WLTP-Verbrauchsmesszyklus gut sein für 480 km. Aber nicht beim Jaguar I-Pace. Dann hätten man diesen Wagen langweiliger konzipieren müssen. Auch der Innenraum bremst niemanden ein. Ein Jaguar zeigt auch als E-Auto das gleiche luxuriöse Ambiente mit besten Materialien in höchster Verarbeitungsqualität, welche man bei JLR mit „handwerklich“ qualifiziert betitelt. Alles sieht aus und fasst sich an, wie man es von der britischen Nobel- und Traditionsmarke erwartet. Dazu gehört inzwischen auch ein virtuelles Cockpit mit gut gestalteten Anzeigen, vielen Informationen und Einstellmöglichkeiten auf den beiden hochauflösenden Bildschirmen, die nicht mit purer Größe imponieren. Dennoch passt (zu) viel darauf, dass jeder Fahrer seine Zeit braucht, selbst wenn das alles intuitiv sein sollte.

 

Egal, dies ist ein Jaguar. Und so einen fasst kaum einer vorsichtig an, nur um mehr Reichweite zu erzielen. Wir jedenfalls nahmen ihn für voll und wollten wissen, ob dieser Jaguar nicht nur optisch zur Familie passt. Wir waren begeistert von dem sanften Anzug und auch bei dem E-Auto wieder von dem dramatischen Vortrieb. Nur endet der beim Jaguar nicht bei 60 km/h. Diese Raubkatze zieht durch. Nur die Fahrgeräusche von Reifen und Fahrbahn stören diesen Eindruck von technischer Harmonie.

 

Die Quittung für so viel Sturm und Drang folgt auch umgehend. Denn der I-Pace berechnet andauernd die bei der jeweiligen Fahrweise noch zu erwartende Reichweite. Leider legt sich das Fahrzeug dabei gern auf die positive Seite. Bei uns war von den anfangs angezeigten 400 km schon nach kurzer Autobahnfahrt keine Rede mehr. Sieht so aus, als wären bei recht flotter Fahrweise rund 300 km ein Wert für die tägliche Praxis. Und dazu kommt dann noch der Basispreis von satten 78.800 Euro. (ampnet/SW)