Mit 238 km/h über die Avus.




23. Mai 1928, exakt 10:00 Uhr vormittags: Ein futuristischer Rennwagen mit seitlichen Flügeln stürmt scharf zischend die Berliner Avus entlang. Der damals 29-jährige Fritz von Opel, Enkel des Firmengründers Adam Opel, hat die insgesamt 24 Pulverraketen direkt im Heck seines RAK 2 nacheinander gezündet und jagt mit einem Feuerschweif über die Avus.

 

Als der tiefschwarz glänzende Wagen mit den großen Opel-Schriftzügen zum Stehen kommt, sind die rund 3.000 Zuschauer aus dem Häuschen: „Raketen-Fritz“ hat mit 238 km/h einen neuen Streckenrekord aufgestellt!

 

Fritz von Opel bewies an jenem Tag vor immerhin 90 Jahren, dass der Raketenantrieb leistungsfähig und beherrschbar ist. Opel läutet mit dem spektakulären RAK 2 vor laufenden Kameras das Raketen-Zeitalter ein; Grundstein der bemannten Raumfahrt, wenn auch noch auf vier Rädern.

 

Die Geschichte des Opel RAK 2 reicht ins Jahr 1927 zurück. Nach einem Treffen mit dem österreichischen Publizisten Max Valier beschließt Fritz von Opel, sich aktiv an dessen Raketen-Forschungsprojekt zu beteiligen. Einerseits, weil den Opel-Enkel die Technik fasziniert; andererseits, weil sich der Unternehmer durch das visionäre Vorhaben positive Impulse für die Marke Opel erhofft. Für die schnelle Umsetzung solch eines Motors holte man Friedrich Sander an Bord, in dessen Firma Feststoffraketen gefertigt wurden. Der Unternehmer, Diplom-Ingenieur und Rennfahrer bringt außerdem noch die Innovations- und Finanzkraft von Opel mit ein.

 

Diese Zusammenarbeit trägt bereits im März 1928 erste Früchte. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit werden die ersten Prototypen auf der Opel-Testbahn in Rüsselsheim gestartet. Am 11. April erreicht der Opel RAK 1 mit Opel-Ingenieur und -Rennfahrer Kurt Volkhart am Steuer Tempo 100 in 8 Sekunden. Basis dieses schon mit kleinen Seitenflügeln bestückten Wagens ist ein Opel 4/12 PS. Für den Antrieb sind 12 Sander-Raketen mit rund 40 kg Sprengstoff im Heck montiert. Der Fahrbeweis ist damit erbracht. Nicht zuletzt durch die riesige Resonanz in der Presse ist sich das Team einig, dass die Versuche weiter fortgesetzt werden sollen. Da die Rüsselsheimer Hausstrecke dafür nicht geeignet ist, fällt die Wahl auf die Avus in Berlin. Die Strecke verfügte damals über längere Geraden...

 

Der Opel RAK 2 wird eigens für die Avus-Rekordfahrt auf dem Chassis eines Opel 10/40 PS konzipiert und stellt eine Weiterentwicklung zum RAK 1 dar. Um 4,88 Meter ist der RAK 2 länger, dazu aerodynamisch verfeinert, hat größere Flügel und verfügt über 24 Feststoffraketen. Allein beibehalten, die stufenweise elektrische Zündung per Pedal. Motor und Getriebe hat der 560 kg schwere Renner im futuristischen Design nicht.

 

Als Pilot nominiert sich Fritz von Opel selbst. Seinen bahnbrechenden Auftritt in Berlin plant der Unternehmer sorgfältig. Rund 3.000 Personen, Journalisten, Prominente, Sportler und Politiker werden eingeladen. Die Gäste erscheinen zahlreich, darunter Größen wie Boxer Max Schmeling, Dichter Joachim Ringelnatz, oder die Filmstars Lilian Harvey, Thea von Harbou und der Metropolis-Regisseur Fritz Lang. Vor dem Start halten Prof. Johann Schütte, Vorsitzender der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Luftfahrt, und Fritz von Opel prophetische Ansprachen. Der Rundfunk überträgt live. Danach macht sich dann auch die Opel-Mannschaft bereit.

 

Die Monteure August Becker und Karl Treber befreien den Opel RAK 2 von einer Segeltuchplane und schieben ihn vorsichtig zum Startplatz. Erst dort werden die Raketen installiert und mit dem Zündmechanismus verbunden. Polizisten räumen die Strecke, Fritz von Opel nimmt hinter dem großen Holzlenkrad Platz. Bedeutungsschwer drückt ihm Friedrich Sander die Hand. Das aufgeregte Raunen auf den Tribünen verstummt. Dann geht es Schlag auf Schlag. „Raketen-Fritz“ meistert die Nordkurve und das Aufbäumen des Wagens, denn die Flügel liefern nicht genügend Abtrieb für das halsbrecherische Tempo. Nach knapp 3 Minuten ist alles vorbei. Der RAK 2 rollt langsam aus, die großen weißen Rauchwolken lösen sich unter dem Jubelsturm der Zuschauer im Himmel über Berlin auf: Eine Utopie wurde Wirklichkeit, ein spektakulärer Triumph. Fritz von Opel erreicht 238 km/h und wird mit dem Spitznamen „Raketen-Fritz“ über Nacht zu einer der großen Berühmtheiten der Nation. Die Marke Opel gilt ab sofort als der progressivste und innovativste Autohersteller.

 

Beflügelt durch den großen Erfolg in Berlin setzen Fritz von Opel und Friedrich Sander ihre Experimente fort. Mit der Raketen-Draisine Opel RAK 3 erzielen sie am 23. Juni 1928 in Burgwedel auf der Hasenbahn mit 256 km/h einen Geschwindigkeits-Weltrekord für Schienenfahrzeuge. Nach Versuchen mit einem Motorrad, der legendären Opel Motoclub, wenden sie sich schließlich intensiv der Fliegerei zu. So gelingt am 30. September 1929 in Frankfurt a.M. eine neuerliche Pioniertat: Der erste öffentliche Raketenflug der Welt mit einem Opel-Sander RAK.1. Kurz darauf werden die Raketenversuche bei Opel unter den Eindrücken der Weltwirtschaftskrise beendet, es zählte allein die Fahrzeugentwicklung.

 

Heute gehört die Erforschung neuer Antriebstechnologien mehr denn je zu den vorrangigen Konzernzielen eines Automobilherstellers. (ampnet/SW)