Mit der 16 gelang Renault der Sprung.




Vor 55 Jahren war der Renault 16 eine Sensation. Als erste Limousine der oberen Mittelklasse mit Schrägheck, großer Kofferraumklappe und variablem Innenraumkonzept ließ er 1965 die konventionelle Stufenheck-Konkurrenz mit einem Schlag alt aussehen. Die Sitzlandschaft ließ sich in sieben Positionen variieren. Daran scheitern heute viele Modelle!.

 

Die Rennsportlegende Sir Stirling Moss nannte den Renault 16 „das am intelligentesten konstruierte Automobil“, das er jemals so gesehen habe. Und die Zeitschrift „Auto-Kritik“ verspürte sogar „eine Ohrfeige für die deutsche Automobiltechnik“ und erhob den Renault 16 euphorisch zum „neuen Maßstab“ für die Branche.

 

Was die Automobilindustrie fast geschlossen übersah: Die Gesellschaft erlebt in den 60igern einen tief greifenden Wandel. Vorbei die kargen Nachkriegsjahre, mit steigenden Löhnen und Vollbeschäftigung rücken zusehends Freizeit, Reisen und Konsum in den Blickpunkt. Zur selben Zeit siedeln sich an den Stadträndern die ersten Supermärkte an, und auch der Zweitwohnsitz auf dem Lande ist in der umworbenen Gruppe der gut verdienenden Angestellten und Selbstständigen nicht selten. Vor allem jedoch: In den 60igern überrollt die Geburtenwelle die westliche Welt. Später wird man von der Generation der „Babyboomer“ sprechen. Was fehlt, ist ein Auto, das die vielfältigen Ansprüche also vereint.

 

Der Renault-Präsident Pierre Dreyfus, der bereits den R 4 initiiert hatte, bittet deshalb im Sommer 1961 die Leiter der Entwicklungsabteilung zu sich ins Büro. Sein Auftrag, der Bau eines Familienautos komplett neuer Art. Es soll elegant wie eine klassische Limousine sein, dabei geräumig und wandlungsfähig wie ein echter Kombi, denn größere Familien, so seine Rechnung, brauchen viel Platz. Um den Fond uneingeschränkt zu nutzen, setzt Pierre Dreyfus voll und ganz auf Frontantrieb. Ansonsten haben die Entwickler freie Hand...

 

Zu den kreativsten Köpfen des neu gegründeten „Bureau de Style“ zählt der 31-jährige Gaston Juchet. Dieser zeichnet im Spätsommer 1961 den Entwurf für einen Viertürer mit Schrägheck und je drei Seitenscheiben. Die Entwicklung erfolgt in der Rekordzeit von nicht einmal vier Jahren. Parallel dazu errichtet Renault für den Renault 16 in nur 18 Monaten in Sandouville bei Le Havre ein komplett neues Werk. Die Serienfertigung des Newcomers startet im Januar 1965, seine Messepremiere hat der Renault 16 zwei Monate später auf dem Genfer Automobil-Salon.

 

Die Maße des Neulings: 4,32 Meter Länge, 1,65 Meter Breite und 1,36 Meter Höhe, dazu serienmäßig vier Türen und große Kofferraumklappe. Auch der lange Radstand und das „Pagodendach“ tragen zum neuen, unverwechselbaren Erscheinungsbild bei. Die hohen Karosseriekanten sind mehr als nur ein Design-Gag. Sie verleihen dem Fahrzeug eine ausgezeichnete Verwindungssteifigkeit, trotz fehlender Querwand bei Passagierabteil und Kofferraum.

 

Vor allem aber überzeugt der Renault 16 durch eine bis dahin nicht gekannte Innenraumvariabilität. Die Sitzlandschaft lässt sich in sieben Positionen an die unterschiedlichsten Situationen anpassen. Wer viel zu transportieren hat, kann das Fondgestühl umklappen, um so bis zu 15 Zentimeter nach vorne schieben oder ganz ausbauen. Hierdurch wächst das Ladevolumen von 346 auf 1.200 Liter. Eine weitere, heute aus der Mode gekommene, Konfiguration erlaubt es sogar, die Rückenlehne der Fondbank unter den Dachhimmel zu hängen, während das Sitzkissen nach vorne gekippt und von hinten an die Vordersitze gelehnt wird.

 

Der Beifahrer kann zwischen zwei Liegekombinationen für seinen Sitz wählen, eine für unterwegs, die andere für das Nickerchen auf dem Rastplatz. Und in der „Mama“-Position rückt Mutti den Beifahrersitz auf Tuchfühlung an die Fondbank, so dass der schlafende Sprössling nicht in den Fußraum purzeln kann...

 

Weiteres durchdachtes und sehr komfortables Detail: Die in Deutschland nahezu ausschließlich nachgefragte Ausstattung „Grand Luxe“ verfügt über eine Mittelarmlehne mit praktischem Ablagefach. Sie erlaubt diese lässige Renault 16 Fahrer-Haltung, die auch zum Gangwechsel nicht aufgegeben werden muss. Denn geschaltet wird am Lenkrad. Dazu kann der Ellbogen weiter auf der Armstütze ruhen. Die Fachzeitschrift „auto motor und sport“ sieht im Franzosen ein „rollendes Wohnzimmer“.

 

Antriebstechnisch hat der Renault 16 ebenfalls Wegweisendes zu bieten: Unter der Haube beherbergt er den ersten komplett aus Alu gefertigten Motor von Renault. Anfangs mobilisiert der Leichtmetall-Vierzylinder 55 PS. Im Lauf der Zeit steigt die Leistung auf 93 PS in der Spitzenversion TX (1973). „In Bezug auf Laufruhe, Elastizität und Leistungsverhalten gehört der Motor zum Besten, was heute in der Vierzylinder-Mittelklasse existiert“, lobt „auto motor und sport“ das Aggregat, das später auch in den Sportwagen Renault Alpine A110 und A310 Motorsportgeschichte schreiben wird, etwas erstarkt.

 

Vom R 4 erbt der große Bruder die Drehstabfederung. Diese trägt auch zum Ladevolumen des Renault 16 bei, weil keine störenden Federdome in den Kofferraum ragen. Kurioser Nebeneffekt: Der avantgardistische Gallier hat links einen um 67 Millimeter längeren Radstand als rechts. Dies fällt aber indes nur dem äußerst geübten Auge wirklich auf.

 

1966, im ersten vollen Verkaufsjahr, setzt Renault allein in Frankreich von seinem neuen Topmodell 68.916 Fahrzeuge ab. Bis 1969 steigt die Zahl auf 92.488 Autos. Weltweit verkauft Renault in jenem Jahr 179.991 Renault 16, eine Zahl, die 1970 sogar noch überboten wird, als 193.698 Fahrzeuge das Werk Sandouville verlassen. Zu diesem Boom trägt auch das stärkere TS-Modell 1968 mit 83 PS und die Automatikversion 1969 mit 67 PS sehr erheblich bei.

 

Ein Jahr zuvor hat Renault den Export des Renault 16 nach Nordamerika (Kanada und die USA) gestartet, wo der französische Exot die Herzen der Presse im Sturm erobert. Das Magazin „Road Test“ schlägt vor, „alle in Detroit arbeitenden Designer zwei Wochen ans Lenkrad dieses Autos zu setzen, in der Hoffnung, dass ihre Fantasie aufgeweckt wird“.

 

Zum Modelljahr 1971 erlebt der R 16 sein erstes Facelift. Er erhält unter anderem größere und rechteckige Heckleuchten, die außerdem etwas tiefer platziert sind. Die Basisversion leistet jetzt 67 PS wie zuvor beim Automatikmodell. Die Modellpflegemaßnahmen halten die Karriere im Schwung: Anfang 1972 rollt in Sandouville der 1-millionste Renault 16 vom Band. Längst wird das Modell zu diesem Zeitpunkt nicht mehr nur in Frankreich gebaut. Montagewerke finden sich in 14 weiteren Ländern, darunter auch so entfernten Welt­gegenden wie Trinidad, Venezuela, Madagaskar und Australien.

 

Nur ein Jahr später legt Renault nach: Auf dem Pariser Salon im Oktober 1973 debütiert das neue Topmodell, der Renault 16 TX (93 PS).

 

1975 feiert Renault auf dem Genfer Automobilsalon den Nachfolger, den Renault 20, auch er mit Schrägheck. Für den Renault 16 bedeutet dies jedoch noch nicht das Aus. 1976 werden weltweit 103.179 Renault 16 verkauft. Renault produziert deshalb beide Modelle vier Jahre lang nebeneinander. Im Januar 1980 macht die Schrägheck­Limousine nach 1.845.959 produzierten Exemplaren dann endgültig der etwas jüngeren Generation den Platz frei... (TX)