Seriennah die perfekte Kurve suchen.




Die meisten Rennserien haben sich weit vom Serienauto entfernt. Das gilt für die DTM ebenso wie für die Nascar in Nordamerika. Hinzu kommt: Der Rennsport ist extrem teuer. Doch es gibt Lösungen. Eine wäre die TCR-Serie. Das Reglement ist nicht unumstritten, aber insgesamt wurde die Serie hervorragend angenommen.

 

Der VW-Konzern ist voll eingestiegen. Mit VW Golf GTI TCR, Audi RS3 LMS und Seat Leon Cup Racer TCR. Konkurrenz: Alfa Romeo Giulietta, Ford Focus, Honda Civic, Hyundai i30 N, Kia ceed, Opel Astra, Peugeot 308 und Subaru WRX STi. Allen Konkurrenten gemein ist die 4- bzw. 5-türige Karosserie, der Antrieb mit Single-Turbos von 1.750 bis 2.000 ccm und eine technische Basis, die binnen 12 Monaten in mindestens 5.000 Einheiten gebaut wurde. Die Sitzposition des Fahrers bleibt unverändert, gleiches gilt für Hauben und Türen. 65 Prozent der Teile, so VW, sind mit der Serie identisch. Man sieht dem Golf GTI TCR seine technische Basis an. Die Änderungen sind aber auffällig: 15 cm Kotflügelverbreiterung, ein Front-Splitter und ein einstellbarer Alu-Heckflügel schaffen Rennflair.

 

Das Interieur kommt ohne Dekor und Dämmung aus, jedoch ähnelt die Armaturentafel der GTI-Basis. Die mechanische Handbremse ist günstig und weit oben platziert, die Schaltkulisse kommt dem Fahrer bekannt vor: Es handelt sich um das 7-Gang-DSG der Serie. Alternativ bietet VW Motorsport allerdings ein sequentielles 6-Gang-Renngetriebe an, diese klassische Option erfreut sich bei den Kunden weit größerer Beliebtheit, obwohl das DSG nicht nur unempfindlicher gegen Fehlbedienung ist, sondern den Kaufpreis auch absenkt.

 

Zeit, Platz zu nehmen und den VW Golf GTI TCR in seinem natürlichen Umfeld zu erleben. Wir haben die Gelegenheit dazu auf dem Vallelunga-Kurs im Latium, nördlich von Rom. Mit 5-Punkt-Gurten festgezurrt in den Rennsitz schweift der Blick über Haube und Armaturentafel: Hier ist alles dort, wo es erwartet wird, die vorderen Karosserieecken lassen sich gut erahnen. Auffällig ist die hohe Verarbeitungsqualität: Dies ist ein VW!

 

Der 2,0-Liter Turbo bellt beim Anlassen los und verfällt augenblicklich in einen dunklen, gleichmäßigen Leerlauf. Diese Maschine aus der Serie EA888 liefert 350 PS bei 6.200 U/min, das max. Drehmoment liegt bei 420 Nm, die bei nur 2.500 U/min erreicht werden. Die Maschine, deren Einbaulage mit der in der Serie identisch ist, muss mit nur 1.285 kg fertig werden, die hier verlangte Untergrenze.

 

Wütend reißt der Motor den Wolfsburger nach vorn, wobei die gefühlte Beschleunigung noch um einiges brutaler ist als die reale Performance: Der Sprint von 0 auf 100 km/h dauert gar 5,2 Sekunden. Die Spitze liegt übrigens bei 258 km/h, wobei bemerkenswert ist, wie rasch der GTI TCR in oberste Geschwindigkeitsbereiche vorstößt. Erfahrene Piloten werden ihren Fahrstil möglicherweise umstellen, denn das schon bei niedrigen Drehzahlen anliegende max. Drehmoment legt es nahe, manche Kurven wohl eher einen Gang höher als in anderen Rennautos anzugehen.

 

Die leicht modifizierte Zahnstangenlenkung ist extrem präzise, der GTI TCR lenkt perfekt ein. An kalten Tagen geht das größte Risiko von der Hinterachse aus: Weil die Kraft auf die Vorderräder übertragen wird, werden die hinteren Reifen wenig beansprucht; wegen der niedrigen Temperatur können sie nur wenig Seitenführungskraft übertragen. Bei Lastwechseln droht das sportliche Heck dann zu überholen. Bei höheren Geschwindigkeiten bleibt der VW GTI TCR immer stabil, nicht zuletzt wegen des fast übergroßen Heckflügels.

 

Nach den Einführungsrunden hinter der Legende Hans-Joachim Stuck hat VW uns allein auf die Rennstrecke losgelassen. Es gibt kaum etwas Schöneres und Aufregenderes als die Jagd nach der perfekten Kurve und der perfekten Rundenzeit. Ein Vergnügen, das sich zwar nur wenige leisten können, das mit der TCR-Serie aber viel erschwinglicher ist.

 

Ein neuer VW Golf GTI TCR kostet unter 100.000 Euro, die Saison lässt sich für rund 150.000 Euro bestreiten. Nicht übel für ein zuverlässiges und rennfertiges Auto; ein schönes Plädoyer für Rennfahrzeuge, die sich wieder enger an die Serie anlehnen. Denn die Faszination, die ein TCR-Rennwagen ausstrahlt, lässt sich durch generische PS-Monster mit viel zu viel Einheitstechnik, wie sie in einigen anderen Rennserien heute zum Einsatz kommen, fast gar nicht übertreffen. (ampnet/TX)